Von Waldstatt zum Dubstep

Mit «Rakel» illustrierte Georg Gatsas das Plakat zur Ausstellung im Museum Bärengasse in Zürich. (Bild: Georg Gatsas)



Appenzellerzeitung vom 23. Juli 2013

Umtriebig Das Plakat vom diesjährigen Blue Balls Festival in Luzern stammt vom Fotografen Georg Gatsas – nicht das einzige Projekt, das der Ostschweizer momentan am Laufen hat.

Michael Hug

Kunst ist überall, sagt Georg Gatsas. Kunst ist ein Netzwerk. Ohne Netzwerk läuft nichts im modernen Kunstbetrieb, auch das eine Feststellung, vielmehr Einstellung, des Künstlers Gatsas.
Die Pflege dieses Netzwerks ergibt sich von selbst, nämlich dadurch, dass Kunst betrieben wird. Am Ort, wo der Kunstschaffende gerade ist oder über Distanzen, virtuell oder real. Das bedingt, dass der Künstler selbst mobil ist, bei gleichzeitiger, ständiger Präsenz im virtuellen Raum. Für Gatsas bedeutet das, vor Ort zu sein, wenn es geschieht. Nachts, in Kellerclubs, wo der Bass dröhnt, wo die Szene abhängt, wo das Herz des Dubstep schlägt. In New York, London oder Zürich fand er seine Motive, die er zu Hause, in Waldstatt, zu Serien zusammenfügt. «Waldstatt ist meine Homebase», sagt Gatsas. Eher zufällig ist es Waldstatt, es war auch schon St. Gallen, Rorschach oder Grabs, wo er 1978 geboren wurde.

Zufällig Waldstatt
Auch in Zürich fand Georg Gatsas ein Netzwerk von jungen Kreativen. Kunstschaffende, Musiker, Grafiker, Modemacher, Produzenten. Musik ist das Verbindende, eine gewisse grelle Exotik ebenso, gemeinsam ist ihnen auch die Verkörperung eines interkulturellen Zeitgeistes. Zehn Menschen aus dieser Szene hat Gatsas fotografisch porträtiert. Die Bilder – gleichzeitig Artefakte wie Zeitdokumente – sind zurzeit im Zürcher Museum Bärengasse an der Ausstellung «Twisted Sisters – Reimaging Urban Portraiture» zu sehen. Mit einem seiner Motive hat Gatsas das Ausstellungsplakat gestaltet. Entgegen seiner früheren Porträts, die fast alle nachts in Clubs oder Strassen und mit Blitzlichtunterstützung entstanden, wählte er Tageslicht und unbefangene Hintergründe. «Damit sind die Porträts delokalisiert», sagt Gatsas, «der Kontext wird auswechselbar.»

Karrierestart im Untergrund
Seine Karriere startete der Autodidakt aus dem Untergrund. Er mag zwar diesen Begriff nicht, doch er impliziert auf treffende Weise eine Bewegung, die sich auf Nebenschauplätzen, abseits ausgetretener Pfade entwickelt. Ihre Kultur manifestiert sich in der Musik, in der Mode oder im Lebensstil derer, die sich dazuzählen. Fast jeder oder jede in dieser Szene, sei er Musiker, Produzentin, Promoter oder sonstwie involviert, ist eine Ausnahmeerscheinung. Genau das hat den Künstler Gatsas bei mehreren Aufenthalten in New York fasziniert. Eine ähnliche Szene – Gatsas bezeichnet sie als soziale Räume – fand er in Clubs der Londoner Vorstädte Croydon, Brixton oder Camberwell, wo dann die Porträtserie «Signal the Future» entstand. Diese Bilddokumente – eigentliche Recherchen – werden auch in diversen Magazinen publiziert, oft auch mit von ihm verfassten Texten.

Porträts von jungen Kreativen
Ganz anders lief es beim Foto für das Plakat des eben angelaufenen Blue Balls Festival in Luzern: «Ich wurde angefragt, die Ausstellung, die immer neben den Konzerten im KKL stattfindet, zu bestreiten. Dazu sollte ich auch die Vorlage für das Plakat liefern.» Für das Shooting reiste Gatsas nach London. Das Motiv, die englische Sängerin Laura Mvula, wurde vom Auftraggeber bestimmt. Bei den 30 Bildern für die Ausstellung griff Gatsas auf seine Arbeiten der letzten zehn Jahre zurück. «Ich finde es sehr spannend, was jetzt passiert», sagt Georg Gatsas zu seiner künstlerischen Tätigkeit. Dabei hat der Neo-Appenzeller in der Vergangenheit auch einige Preise und Stipendien eingeheimst. Darunter den Swiss Art Award oder jüngst den 10 000 Franken schweren Förderbeitrag der UBS-Kulturstiftung. Letztere schrieb dazu: «Georg Gatsas' Bilder erlauben intime Blicke in subkulturelle Lebenswelten jenseits verinnerlichter sozialer Codes.»
Doch zu dem, wie jeder Fotograf, hält Georg Gatsas auch einen Teil der Kulturgeschichte dauerhaft fest.