Der Königsmacher von Waldstatt



Eine Maschine hilft Alois Gerig beim Formen der Teigstücke, danach fügt er sie von Hand zu einem Kuchen zusammen. (Bild: mge)

Appenzellerzeitung vom 6. Januar 2014

WALDSTATT. Eine weisse Plastikfigur entscheidet heute darüber, wer am Frühstückstisch für einen Tag zum König aufsteigt. Über 600 Dreikönigskuchen wird Bäcker Alois Gerig verkaufen. Er hat erlebt, wie sich der Brauch verbreitet hat.
MICHAEL GENOVA

Es ist fünf Uhr am Samstagmorgen in Waldstatt, und die zukünftigen Könige schlafen noch. Nur im ersten Stock der Bäckerei Gerig brennt Licht. Bäcker Alois Gerig und seine Mitarbeiter sind fast fertig mit der üblichen Tagesproduktion – nun folgt die Kür. Sie beginnen mit der Herstellung der Dreikönigskuchen. Während drei Tagen wird die Bäckerei etwa 600 Kuchen verkaufen und ebenso viele Könige krönen. Am heutigen Dreikönigstag ist Hauptverkaufstag. «Für mich ist es ein besonderer Tag – er gehört noch zur Weihnachtszeit», sagt Alois Gerig.

Ein eingespieltes Team
In der Backstube arbeiten vier Bäcker und zwei Lehrlinge. Sie verstehen sich ohne grosse Worte. Bäcker Gerig gibt lediglich kurze Anweisungen, nennt die Gewichtsangaben für die verschiedenen Kuchengrössen – jeder weiss, was er zu tun hat. Ein Lehrling reinigt die Backbleche, der zweite bereitet einen weiteren Hefeteig vor. Eine Mitarbeiterin wägt die Teigmassen ab, und die Kollegin formt daraus mit der sogenannten Aufschleifmaschine kleine Teigballen. Am Ende fügt der Chef die Einzelteile zu einem Kuchen zusammen. «Ich schaue, dass ich am Tisch bin und den Überblick behalte», sagt er.

Der Dreikönigskuchen besteht aus einem Hefeteig mit Butter und Mandelmasse. Bäcker Gerig erstellt Kuchen aus sechs, acht oder zehn Teilen. «Schulen bestellen manchmal sogar Kuchen mit 20 Stücken», sagt er. Nach dem Formen bestreichen die Bäcker die Kuchen zweimal mit Ei, damit sie schön braun werden. Zum Abschluss streuen sie Mandelsplitter auf die Kuchenmitte. Seit etwa fünf Jahren gibt es auch eine Variation des Originalrezepts: Anstatt Sultaninen werden Schokoladestückchen in den Teig gemischt.

Der König im Teig
Die wichtigste Zutat des Dreikönigskuchens ist jedoch der König. Damit er auf keinen Fall vergessen wird, lassen die Bäcker ein Stück des Kuchens bis zum Schluss frei. Erst im letzten Arbeitsschritt stecken sie den König in das fehlende Teigstück und kneten ihn ein. So stellt Alois Gerig sicher, dass er am Tag nach Dreikönig nicht mit Reklamationen überhäuft wird. «Etwas System muss sein», sagt er. Die weissen Könige aus Kunststoff bezieht er über die Einkaufsgenossenschaft der Bäcker. Gerig geht zu einem Regal und nimmt eine neue Packung: «Hier sind 50 Könige drin.» Er verwendet sie für alle seine Kuchen. «Auch in den Königskuchen mit Schokolade kommt ein weisser König, kein schwarzer», schmunzelt er.

Wiederbelebte Tradition
Was heute eine fest verankerte Tradition ist, geht auf eine Initiative des Schweizerischen Bäcker- und Confiseurmeisterverbands zurück. In den 1950er-Jahren wollte dieser das in Vergessenheit geratene heidnische Brauchtumsgebäck wiederbeleben (siehe Kasten). Alois Gerig absolvierte damals in einer Landbäckerei im Toggenburg seine Lehre. «Am Anfang verkauften wir gerade einmal vier oder fünf Dreikönigskuchen», erinnert er sich. Damals hätten sie den Kuchen noch als Buttergebäck angepriesen. Vor zehn Jahren lieferte die Einkaufsgenossenschaft eine halbe Million Kunststoffkönige an gewerbliche Bäckereien aus. Dieses Jahr werden gemäss Berechnungen des Bäckermeisterverbands die Schweizer etwa 1,5 Millionen Dreikönigskuchen kaufen. Für Alois Gerig ist es ein willkommenes Geschäft: «Es ist gut gegen das Januarloch.»

Für Ansturm gewappnet
Im Laden hat Ehefrau Erika Gerig in der Zwischenzeit die Brote eingeräumt. Es fehlen nur noch die Dreikönigskuchen, die sie gerade abpackt und in einer speziellen Ecke des Ladens präsentiert. Der Samstag ist die Hauptprobe für den heutigen Dreikönigstag. Einen Drittel des Teigs hat Alois Gerig vorproduziert und tiefgekühlt, den Rest stellt er in der Nacht auf Montag her. Er muss gewappnet sein. «Es gibt kaum einen Haushalt, der keinen Königskuchen kauft», sagt der 59-Jährige. Sollte ihn die Nachfrage trotzdem überrollen, bereite ihm dies kein Kopfzerbrechen: «Wir können auch am Morgen noch Kuchen backen.»