Erwerb bedeutender Bauernmalereien

Josef Oertle, Sennenporträts 1994. (Bilder: Stiftung für appenzellische Volkskunde)


Appenzeller Zeitung vom 14. Oktober

STEFAN SONDEREGGER

Die Stiftung für appenzellische Volkskunde hat dank der Finanzierung durch die Steinegg-Stiftung, Herisau, und die Dr.-Fred-Styger-Stiftung, Herisau, zehn Bilder aus dem Bereich der Bauernmalerei erwerben können. Diese stammen aus dem Privatbesitz von Willy Ringeisen, Teufen. Es handelt sich um teilweise hervorragende Bilder der «bäuerlichen Naiven» Konrad Zülle (1918–1988) und Josef Oertle (1915–2004). Beide gelten als «echte» Bauernmaler, die eigenständige Bildsprachen entwickelten, auch wenn sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und somit deutlich nach der Klassik der Appenzeller Senntumsmalerei tätig waren.

Passende Ergänzung für Sammlung
Die Stiftung für appenzellische Volkskunde verfügt über eine hervorragende Sammlung im Bereich der «klassischen Bauernmaler». Zu den Klassikern gehören beispielsweise Bartholomäus Lämmler (1809–1865), Johannes Müller (1806–1897), Johannes Zülle (1841–1938), Franz Anton Haim (1830–1890) sowie Johann Jakob Heuscher (1843–1901). Hauptwerke dieser Maler sind im Volkskunde-Museum in Stein AR ausgestellt. Sie gehören der Stiftung für appenzellische Volkskunde, deren Zweck darin besteht, bedeutende Zeugnisse der appenzellischen Volkskunde und Volkskunst zu erwerben und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Sammlung dieser Stiftung ist im Bereich der Klassiker aus dem 19. Jahrhundert gut bestückt, hingegen fehlen Bauernmalereien des 20. Jahrhunderts fast vollständig. Die nun gekauften Bilder von Konrad Zülle und Josef Oertle schliessen bis zu einem gewissen Grad diese Lücke.

Konrad Zülle lebte«im letzten Jahrhundert»
In einem Punkt bestehen grosse Ähnlichkeiten zwischen vielen Bauernmalern des 19. und des 20. Jahrhunderts. Sie lebten in der Regel in bescheidenen Verhältnissen. Bartholomäus Lämmler, dessen Bilder in Museen mit hohen Summen versichert werden müssen, brachte sich als Knecht oder Taglöhner durch das Leben und soll angeblich in Wolfhalden an Schnapssucht und Brechdurchfall gestorben sein. Konrad Zülle, dessen Leben Simone Schaufelberger-Breguet in einem Ausstellungskatalog des Brauchtumsmuseums Urnäsch aus dem Jahre 1987 kurz schildert, titelt ihren Beitrag «So wohnt heute niemand mehr». Die Fotografie dazu zeigt es. Zülle wohnte am Schluss in Marbach in einem winzigen Haus. Wohn-, Schlaf- und Arbeitsraum bildeten ein nicht voneinander getrenntes «Biotop»: Eine «schummrige Küche mit dem Schüttstein und dem verkrusteten kleinen Rechaud, auf dem der Junggeselle sich seine Fettaugensuppe kocht … Das durchgelegene Bett … der Kachelofen, an dem die Hose mit den Hosenträgern hängt, ein Schrank und zwei kleinere Tische über- und überhäuft … darauf die Pfanne mit der fetten Wurst in der eiskalten Suppe.» Konrad Zülle scheint noch «im letzten Jahrhundert zu leben».

Konrad Zülle hatte eine harte Jugend. Er wurde am 11. Juni 1918 in Waldstatt als Sohn eines Bauern geboren. Seinen berühmten Grossonkel, den oben erwähnten Bauernmaler Johannes Zülle, hat er nicht mehr gekannt. Mit siebzehn zog Konrad Zülle von zu Hause weg und arbeitete an verschiedenen Orten als Knecht. Er wechselte seine Arbeitsplätze mehrmals, war später selbständiger Bauer und viele Jahre Alphirte im St. Galler Oberland. Ab 1960 trieb Zülle Kleinhandel mit Schellen und eigenen Schnitzereien. Ab Ende der Siebzigerjahre malte Zülle mehr oder weniger regelmässig Tafelbilder. Diese verkaufte er auf Viehmärkten, Sennenfesten oder als Hausierer. Im August 1986 erlitt Zülle einen Schlaganfall mit teilweiser Lähmung der rechten Körperseite und einer Sprachstörung. Dadurch war er gezwungen, mit der linken Hand zu malen. Seine Figuren und Landschaften wurden gröber, die Bildformate grösser. Seine in den letzten anderthalb Jahren gemalten Bilder wirken dadurch «künstlerisch gewagter». In der Beurteilung der Sachkennerin Simone Schaufelberger hat Konrad Zülles Schaffen einen hohen Stellenwert. «Zülles ausgeprägte Handschrift ist sofort aus allen Bauernmalern heraus erkennbar. Weit entfernt ist diese Handschrift indessen von jener Abgedroschenheit, die den routinierten Umgang mit den formalen Mitteln nur allzu oft begleitet und meist in seelenlose <Förderband>-Produktion ausartet.»

Josef Oertle ist «einfach Bauer» von Beruf
Was mit dem Wort «Bauernmalerei» gemeint ist, zeigt eindrücklich der persönlich erzählte und in einem Katalog von 1995 veröffentlichte Lebenslauf von Josef Oertle. Oertle wurde am 25. März 1915 in Hundwil geboren. Seit er acht Jahre alt war, ging er mit seinem ältesten Bruder auf die Potersalp. Mit 14 trat er im Thurgau eine Stelle als Rossknecht an. Nach weiteren Anstellungen in Niederwil bei Gossau und einer «hundsmiserablen» in Waldkirch kam er nach Flawil, wo er vierzehneinhalb Jahre blieb. 1950 kaufte Oertle die Liegenschaft Kernenmoos in Bühler und heiratete im nächsten Jahr die Freundin seiner Schwester. Das Ehepaar hatte vier Kinder, von denen 1975 zwei innerhalb eines Jahres mit 23 und 20 an einem Unfall und durch Krankheit starben.

Am Anfang habe er nur 5, später 15 bis 18 Kühe gehabt. «Und dann hat es mit der Zeit immer mehr Subventionen gegeben und darum hat es mir auch immer besser gefallen. Ich war sowieso immer gerne Bauer.» Zur Bauernmalerei kam Oertle gewissermassen ungewollt. Er hatte keinen Hofnachfolger und musste sich einer Hüftoperation unterziehen, die ihm das «Ruchwerken» untersagte. Die Operation habe «nicht fünf Rappen genützt! Mit Arbeiten war es natürlich nichts mehr.» Sein Sohn habe ihn schliesslich 1986 zum Malen animiert. Im Herzen blieb Oertle zeitlebens Bauer: «Ich bin kein Maler, ich habe es nicht gelernt. Mein Beruf ist einfach Bauer.»

Konrad Zülle, Dorf Stein 1987. () Konrad Zülle in seinem «Biotop» etwa um 1988. () Josef Oertle um 1995. ()