Ein Juchzer bei der Arbeit


Markus Dörig jodelt beim Böscheliplatz in Waldstatt - früher sangen hier Waldarbeiter beim Holzen. (Bild: mge)

Appenzeller Zeitung vom 13. Oktober 2014

WALDSTATT. Markus Dörig ist Landwirt, Forstunternehmer und begeisterter Sänger. Während eines Jahres tritt er als Solojodler an mystischen Orten im Appenzellerland und Toggenburg auf. Auch im Alltag verleiht er seiner Freude mit Singen Ausdruck.

MICHAEL GENOVA

Pünktlich um 22 Uhr erklingt aus dem Wald beim Böscheliplatz in Waldstatt eine klare Männerstimme. Sie gehört Markus Dörig, der irgendwo verborgen zwischen Bäumen und Holzstapeln steht – verschluckt von der Dunkelheit. Einige der Gäste vor der Wirtschaft Winkfeld stehen auf und nähern sich dem Waldrand. Aus dem Brunnen plätschert das Wasser, von der nahen Weide trägt der Wind das Gebimmel der Kuhglocken herüber. Weit entfernt auf der Schönengrundstrasse rauschen einzelne Autos vorbei. Es sind die Begleitstimmen zu Dörigs Naturjodel.

Singen beim Abwaschen
Einige Stunden zuvor stand Markus Dörig schon einmal auf dem Böscheliplatz und erzählte von seiner Leidenschaft: «Mir käme es nie in den Sinn, mit dem Singen aufzuhören.» Seit 30 Jahren ist Dörig Mitglied beim Rotbachchörli Bühler. Heute ist er dessen Vizepräsident sowie erster Tenor und Jodler. Seine Stimme habe er von seiner Mutter geerbt, sagt er. «Als Kinder haben wir jeweils beim Abwaschen gesungen.» Der 53-Jährige ist Bauer im innerrhodischen Haslen und leidenschaftlicher Züchter von Braunvieh. Während der vergangenen Viehschau-Saison war er als Experte auf Schauplätzen in der Ostschweiz unterwegs.

Dörig ist Mitinhaber eines Forstunternehmens. In den Wintermonaten sei er deshalb ständig im Holz. «Insofern ist das hier der richtige Ort», sagt er über den Böscheliplatz in Waldstatt. Hier sollen bereits früher die Waldarbeiter beim Holzen gejodelt haben. Überhaupt habe man früher bei der Arbeit noch häufiger gesungen. So sei es üblich gewesen, nach abgeschlossener Arbeit einen Juchzer auszustossen in der Hoffnung, dass ein Nachbar den Ruf erwidere. «Heute bekommt man selten eine Antwort.» Der Naturjodel, das Zauren und Juchzen, begleitet ihn auch im Alltag. Dörig jodelt während des Autofahrens, wenn er auf dem Traktor sitzt oder beim Heuen. Er sagt: «Ich singe einfach gern.»

Bühne für Naturjodel
«Jodel-Solo» ist ein Projekt des Zentrums für Appenzellische Volksmusik in Gonten, künstlerischer Leiter ist der Volksmusiker Noldi Alder. Mit der Initiative möchten die Organisatoren der Tradition des Naturjodels eine Bühne geben. Während eines Jahres treten 60 Sängerinnen und Sänger an mystischen oder historischen Orten im Appenzellerland und Toggenburg ganz alleine auf. «Hier kann jeder singen, was er will», sagt Dörig. Er findet es schön, dass beim Projekt nicht nur Sänger teilnehmen, die bereits in einem Chor mitmachen. «Das Projekt ist ein Anfang.» Es brauche aber viel, dass wieder so viel gesungen würde wie früher.

Fortsetzung in der Wirtsstube
Gut 25 Besucher sind zum Jodelkonzert unter freiem Himmel gekommen. Markus Dörig singt bereits länger als die angekündigten 15 Minuten. Nun stimmt er ein Ratzliedli an, es folgen weitere Jodel. Dann ein Juchzer, ein zweiter – Stille. Das Publikum juchzt zurück und applaudiert. Vor der Wirtschaft Winkfeld begrüsst Dörig Gäste und Sängerkameraden. Drinnen nimmt Wirtin Doris Schiess die Bestellungen auf, alle Tische sind besetzt. Nach einigen Minuten stimmt ein Gast einen Jodel an, und die Wirtsstube füllt sich mit Gesang.

«Wir wollen den Solojodel in den Alltag zurückholen», schreiben die Veranstalter in ihrer Broschüre. An diesem Freitagabend ist es ihnen gelungen.