Die Tanners aus Norwegen


Über 50 Jahre lang wohnten sie in Oslo, seit zwei Jahren sind sie in Waldstatt: Lorenz und May Tanner mit ihrem Hund «Fuchs». (Bild: mge)

Appenzeller Zeitung vom 11. Juli

Lorenz Tanner ist im Tessin geboren, in der Westschweiz aufgewachsen und nach der Schule nach Norwegen ausgewandert. Seit zwei Jahren wohnt er mit seiner Ehefrau May in Waldstatt. Das Appenzellerland sei schon immer seine Heimat gewesen, sagt der Sohn eines Herisauers.

MICHAEL GENOVA

WALDSTATT. Noch vor zwei Jahren lebten Lorenz und May Tanner in der norwegischen Hauptstadt Oslo – jetzt sitzen sie im Wohnzimmer ihres Hauses an der Urnäscherstrasse in Waldstatt. Über 50 Jahre seines Lebens verbrachte Lorenz Tanner im Geburtsland seiner Frau May. Nun ist er zurück im Appenzellerland, wo alles begann. «Meine Familie lebte sehr lange in Herisau. Mit der Generation meines Vaters zogen plötzlich viele weg.» Heute habe er nur noch einen Verwandten in Herisau, sagt Lorenz Tanner. Dabei war es höchst unwahrscheinlich, dass er jemals in die Heimat seines Vaters zurückkehren würde. Tanner ist im Tessin geboren und in La Tour-de-Peilz im Kanton Waadt aufgewachsen. Nach Abschluss der Kunstgewerbeschule in Vevey kehrte er der Schweiz den Rücken und nahm in Oslo eine Stelle als Schaufenster-Dekorateur an.

50 Jahre in Norwegen
Es habe damals kaum Arbeitslosigkeit gegeben, sagt Lorenz Tanner. «Ich hätte sogar eine Stelle in Südafrika antreten können.» In Oslo arbeitete er für den grössten Eisenwarenhändler Skandinaviens. Als dieser Pleite ging, kam er in der Firma eines ehemaligen Mitstudenten unter. Bald schon suchte dieser einen Nachfolger für sein Unternehmen. Tanner stieg ein und war plötzlich selbständiger Dekorateur.

Bei der Integration in die neue Heimat spielte seine heutige Ehefrau May eine wichtige Rolle. «Ich habe ihm norwegisch beigebracht. Unsere erste gemeinsame Sprache war jedoch französisch», sagt sie. Die beiden lernten sich bei Freunden kennen. May Tanner erinnert sich, dass sich die Gastgeber über Politik unterhielten. Weil sich beide dafür nicht interessierten, sei sie mit ihrem künftigen Ehemann ins Gespräch gekommen. «Das Desinteresse gegenüber der Politik führte uns sozusagen zusammen.» Es gehört zur Ironie des Lebens, dass sich dies später komplett ändern sollte. May Tanner engagierte sich während zwölf Jahren als Lokalpolitikerin in einem Stadtteil Oslos. Auch ihr Ehemann Lorenz wurde Mitglied von Høyre, einer Mitte-Rechts-Partei, die heute in Norwegen die zweitgrösste politische Kraft darstellt. Beide engagierten sich in der Interessengemeinschaft ihres Wohnviertels. Nur einmal plagte Lorenz Tanner in jener Zeit das Heimweh. «Auf einmal sagte Lorenz, er halte die kalten Winter im Norden nicht mehr aus», so seine Frau. Das Ehepaar verliess Norwegen und lebte in den späten 70er-Jahren während dreier Jahre in der Schweiz. «Ich war damals in Norwegen noch nicht so stark integriert», sagt Lorenz Tanner rückblickend. Doch das Leben als Angestellter in der Schweiz gefiel ihm nicht, er vermisste seine Freiheit als selbständiger Unternehmer. Die Familie kehrte nach Norwegen zurück – und blieb.

Zurück zu den Wurzeln
Im Herbst werden die Tanners 77 Jahre alt. Warum die späte Rückkehr in die Schweiz? Das sei die grosse Frage, schmunzelt May Tanner. «Um nach der Pensionierung eine wirkliche Veränderung zu haben, mussten wir fast wegziehen», sagt ihr Ehemann. Ein weiterer Grund seien die Kinder: Eine Tochter und ein Sohn wohnen in der Schweiz, eine Tochter lebt in Norwegen.

Von der Entscheidung bis zum Umzug dauerte es kaum vier Monate. Im Dezember 2011 schauten sich die Tanners das Haus in Waldstatt an – vier Stunden bevor sie nach Oslo zurückflogen. Im April des folgenden Jahres wohnten sie bereits in der Schweiz. Für Lorenz Tanner ging ein Traum in Erfüllung: «Das Appenzellerland war schon immer meine eigentliche Heimat.» Als er früher seine Verwandten in Herisau besuchte, sei ihm der Abschied immer schwer gefallen. Der Kontrast zwischen Oslo und Waldstatt ist gross, doch auch May Tanner hat sich mittlerweile eingelebt: «Wir sind früher viel gereist. Ich fühle mich überall wohl, wenn ich meinen Mann und meine Sachen dabei habe.»