"Wie eine flackerne Leuchtreklame"

«Federkiel und Tintenfass»: So heisst die Eisenskulptur in Hermann Meilers schmalem Garten an der Lichtensteiger Grabengasse. Die Skulptur war das Pensionierungs-Geschenk nach 30 Jahren Gemeindeschreibertätigkeit im Ausserrhodischen Waldstatt. (Bild: Hansruedi Kugler)



Appenzellerzeitung vom 30. Mai 2013

LICHTENSTEIG. Pensionierter Gemeindeschreiber und Jungschriftsteller: Hermann Meiler wohnt erst seit einem halben Jahr in Lichtensteig. Seine über die letzten zehn Jahre angesammelten kurzen Lebens-Notizen hat er nun in einem Buch mit dem Titel «Schreibgeschützt» herausgegeben.

HANSRUEDI KUGLER

«Mein Leben, unruhig wie eine flackernde Leuchtreklame» – mit dieser Selbstbeschreibung überrascht Hermann Meiler seine Leser. Dreissig Jahre lang war der Autor nämlich Gemeindeschreiber im Ausserrhodischen Waldstatt. Was ist denn am Leben als Gemeindeschreiber so aufregend? «Diese Selbstbeschreibung bezieht sich halt auf mein Privatleben», lacht Hermann Meiler. Zwei Scheidungen hat er hinter sich und lange Zeit galt Deltasegeln als sein liebstes Hobby – der Autor also ein flatterhafter Risiko-Junkie? Das mag man gar nicht glauben, wenn man ihm gegenüber sitzt: Zufrieden, gelassen, humorvoll – er macht den Eindruck eines glücklichen Pensionierten. Aber im Innern war er immer schon rastlos: Hermann Meiler ist einer, der sein Innenleben erkundet, davon berichtet, sich aussetzt und immer wieder spontan seine Gedanken und Empfindungen in Kurzform ins Notizbuch schreibt. Zwei Notizbücher hat er in den letzten zehn Jahren gefüllt.

Mann mit Gefühl
«Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich fand meinen Beruf wunderbar, ich vernachlässigte aber für den Beruf die Familie und das Privatleben», sagt Hermann Meiler. Ein typischer Workaholic und Perfektionist – bis ihn 2010 ein Burn-out aus der Bahn warf. Spuren davon sind auch in «Schreibgeschützt» zu erkennen. Nicht nur in den kurzen und heftigen Notizen wie: «Ich bin am ENDE. Es ist BRUTAL.» Hermann Meiler ist auch sonst ein empfindsamer Autor, ein Zweifler und Gefühlsmensch. So ziehen sich denn auch mehrere Themen durch das Buch hindurch. Kurznotizen über das Mannsein ergeben einen der roten Fäden. Seine Botschaft: Männer dürfen weiche Seiten haben – und sind trotzdem noch Männer. Ein Generationenproblem, räumt er ein. Die Rollenvorbilder seien in seiner Kindheit noch unglaublich einseitig gewesen. Der strenge Vater der Ernährer, die warmherzige Mutter sorgte für Nestwärme. Die Liebe, die philosophische Grundfrage nach dem Sinn des Lebens und des Todes, die Beobachtung von eigenen Lebenskrisen und die Reaktion auf die Umwelt kann man als weitere Fäden durch das Buch hindurch verfolgen.

In die Kulturstadt
Dass Hermann Meiler vor einem halben Jahr von Waldstatt nach Lichtensteig gezogen ist, hat vor allem mit seiner jetzigen Frau zu tun. Gerda Herzog Meiler kannte das Toggenburg schon vorher, besuchte von Waldstatt aus einen Schmuckkurs in der Klubschule Migros in Lichtensteig und war nach einem Tag der offenen Tür von der von Paul Rutz umgebauten Liegenschaft zwischen Grabengasse und Löwengasse so begeistert, dass sie ihren Mann nach Lichtensteig lotste. Er habe ohnehin nach der Pensionierung wieder in einer Stadt wohnen wollen, sagt Hermann Meiler. Denn aufgewachsen ist er in der Altstadt Chur und von Waldstatt aus sei er regelmässig nach St. Gallen gefahren. Lichtensteig gefalle ihnen sehr gut – als Kulturstadt mit einer persönlichen Nachbarschaft. Gerda Herzog Meiler hat ihre Praxis für medizinische Massagen im Erdgeschoss eingerichtet. Die Wohnung befindet sich gleich darüber. Und Hermann Meiler hat unterdessen auch schon ein ehrenamtliches Engagement angenommen: Er hilft seit kurzem in der Erlebniswelt Toggenburg mit.

«Wie ein leerer Kühlschrank»
Im Buch «Schreibgeschützt» muss sich der Leser selbst eine Ordnung suchen: Kapitel oder Zwischentitel sucht man vergeblich. Jede Notiz, jedes Wortspiel steht auf einer eigenen Seite. «Dadurch hat der Leser viel Platz für eigene Notizen», sagt Hermann Meiler. So finden sich in «Schreibgeschützt» knapp 200 Kurz-Notizen auf knapp 200 Seiten, die ältesten sind vor zehn Jahren, die neuesten nach dem Burn-out geschrieben. Kurz meint auch kurz – meist sind Hermann Meilers Notizen nur zwei Zeilen lang: «Warum kannst Du nicht mit mir leben – ich habe mich akzeptiert!» aus Zorn über eine gescheiterte Beziehung, «Unzufrieden – wie ein leerer Kühlschrank», als Bild einer Lebenskrise, «Auch weisse Menschen werfen dunkle Schatten», als spöttischer Kommentar auf überhebliche Polit-Standpunkte. Es hat auch plumpere darunter: «Hinten ist nicht vorn – sonst müsste mancher Arsch als Gesicht lächeln.» Und gelegentlich drängt eine etwas einfach gestrickte Moral durch: «Lieber eine zufriedene Nummer zwei als eine unbefriedigte Nummer eins», oder «Es ist nicht weise, dauernd über andere zu lachen. Lach mal über dich!» Er sei sich dessen bewusst, habe aber sein Notizheft nicht zensurieren wollen, sagt er. «Schreibgeschützt» sollte authentisch werden, nicht unbedingt ein literarisches Kunstwerk. Sind das nun Aphorismen, also in Kurzform gegossene, komprimierte Lebensweisheiten? Knüpft Hermann Meiler gar an eine philosophische Tradition des Denkens in Fragmenten an? Der Autor winkt ab: Die meisten seiner Notizen seien unmittelbar aus eigenen Lebenssituationen und selbst Erlebtem entstanden, als Reaktion auf Erlittenes. In diesem Sinne ist das Buch sehr persönlich. Das Buch ist im Eigenverlag Lebema erschienen, Hermann Meiler musste es selbst vorfinanzieren. Hundert Exemplare sind zunächst gedruckt. Die Promotion ist ihm selbst überlassen. Eine erste Lesung hat er organisiert: Am 14. Juni wird er im Café Restaurant Löwen in Waldstatt lesen.
Hermann Meiler: Schreibgeschützt Lebema Verlag, 200 Seiten